Crazy !!!

 

Ein Kunde aus Berlin ist Kunstsammler und Lebenskünstler.

Er sucht einen (Ess-) Tisch, der ganz und gar rot lackiert ist. Das hatte ich noch nie! Alle Kunden wollten bisher das schöne Holz sehen, das ich mit "erfahrenem" Auge ausgewählt und zusammengestellt habe.

 

Welches Rot? Ich mache Lackierproben von 4 RAL-Tönen auf Esche - Diese Lacke muss ich mir auf einer Farbmischanlage anmischen lassen - je erst mal einen Liter.

Proben machen - das dauert, denn ich lackiere JE 3 Schichten farbigen Lack und ein mal farblosen Lack (Ablackieren) mit einem seidenmatten Glanzgrad. Dazwischen sind die Trockenzeiten von JE mehrere Stunden. Danach wird die Spritzpistole gründlich gesäubert und das Ganze beginnt von vorn mit dem nächsten Rot-Ton...

 

Ich schicke ihm die größeren, mit Esche furnierten Platten. Er trifft nach geraumer Zeit seine Wahl - braucht aber kurz darauf noch mal unseren Farbfächer, in dem hunderte Farbschattierungen enthalten sind (NCS-System). Unsicher?  Gott sei Dank! - es bleibt dabei.

 

Nun braucht es noch eine neue Entscheidung: dass die Gussgabeln für die Räder doch grün sein sollen (zuerst sollte der ganze Tisch komplett rot werden) - aber welches Grün passt? Zum Glück ist mein oft gebrauchter Farbfächer noch bei ihm und auch dieses Grün ist extrem, sodass ich beim Lackieren der 4 Gabeln große Zweifel bekomme - stimmt aber überein. Puhhh...

Nachdem der Tisch aus schönstem Eschenholz gebaut ist, kommt das Lackieren dran.

 

Die Tischplatte ist 2,20m lang und schwer. Ich arbeite seit ca.20 Jahren allein.

Das Wenden der Platte zum erneuten Lackieren kann ich nicht zu früh beginnen - also lasse ich die Platte erst min 1 Tag je Spritzgang trocknen, ehe ich sie anfasse und zur anderen Seite komme - also das Procedere wie oben beschrieben mit den Probeplatten, nur doppelseitig lackiert.... kannst du das als Laie nachvollziehen? Rohe Eier sind nichts dagegen.

Irgendwann ist der Tisch fertig und ich will dieses seltene Exemplar doch noch fotografieren.

Gesagt, getan. Meine Frau stellt der Rückwand noch ein kl. Kunstwerk zur Seite und eine blaue Teeschale von meinem Teemeister macht das Deko. Nun warte ich noch auf das richtige Abendlicht und da geht es um Minuten, denn sie fällt nur kurz auf diese Stelle (vorausgesetzt, es ist nicht bewölkt).

 

 

Fertig -- bin ich noch nicht, denn das gute Stück muss noch zum Kunden nach Berlin.

Das "rohe Ei" muss auch sicher und unbeschädigt an Ort und Stelle kommen und so habe ich mir eine große Hartfaserplatte kommen lassen, um mir eine stabile Hülle für den Transport der Tischplatte zu machen - gepolstert mit aufgeklebten Filz.

Also dann, auf zur Lieferung nach Berlin. -

Einladen, losfahren, ankommen - 333 km. Schönes Haus, aber noch ein alter Fahrstuhl, der zu klein für die Tischplatte ist. Ein Helfer steht bereit und es geht im  Treppenhaus in den 4. Stock. Das Wenden auf dem Treppenabsatz geht gerade so.

Eine Tür geht auf und 2 Jungen, vielleicht 6 Jahre jung, sind neugierig. Der Vater kommt auch mit ins Bild und ich zögere nicht, ihn anzusprechen, ob er vielleicht mit helfen würde, denn ich habe Sorge, dass mein gestellter Helfer schlapp macht. Die beiden also zusammen vorn und ich unterhalb. Eigentlich wurde es dadurch noch schlimmer... Aber wir kommen oben an - voll durchgeschwitzt. Ich hoffe sehr, dass mit dieser Aktion der noch junge Samstag für beide nicht schon gelaufen war...sie waren jedenfalls dann gleich wieder verschwunden.

Vom 2. Helfer, sagte der Kunde, dass er in der japanischen Botschaft arbeite. Da muss man so etwas vielleicht nicht öfter machen.

Nach meinem Zusammenbau des Tisches am finalen Ort sind alle froh und glücklich. Wie die Präsentation dann letztlich aussehen wird, wollten wir nicht mehr abwarten - deshalb kein Abschiedsfoto.

 

Mal ein anderes Szenario:

Hätten wir den Tisch mit der Spedition unseres Vertrauens verschickt, müsste er natürlich auch so gut verpackt und auf einer Palette verzurrt sein.

Der Haken: Speditionen liefern mit einem Fahrer vertragsgemäß "bis Bordsteinkante Kunde" - danach gibt's nur noch eine Unterschrift. Von der Kontrolle auf Transportschäden durch den Empfänger ganz zu schweigen. Das Gestell des Tisches wird auch erst an Ort und Stelle zusammengesetzt - kann der Kunde das? / Früher hat man "Service" mit kostenlos gleichgesetzt - heute ist er rar und teuer.

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Kommentare: 1
  • #1

    Hans Henrici (Donnerstag, 03 Oktober 2024 13:11)

    Sie tun mir wirklich leid mit so einem schwierigen Kunden. Aber wie ich den Bildern entnehme, hat es sich gelohnt.